Die Presse, 2. August 1958: „Ungarns junge Malergarde in Gumpendorf“

Bilder einer Exilausstellung - Fünf Künstler wählten die Freiheit - Wenig Geld, aber große Erwartungen

Es stehen hauptsächlich ungarische Namen in dem Gästebuch der kleinen Ausstellung. Die Maler – drei Männer und zwei Mädchen – sitzen zigarettensuchend und auf Besucher wartend im Vorzimmer. In den drei Räumen, eine Stiege hoch in einem alten Zinshaus in der Gumpendorfer Straße, sind 137 Zeichnungen, Ölbilder, Aquarelle und Plastiken ausgestellt – die Früchte zweier gar nicht leichter Jahre in einem fremden Land.
Das Besondere an dieser Schau, in der Schülerarbeiten neben beachtlichen Bildwerken hängen, ist nämlich die Tatsache, dass die Veranstalter ungarische Flüchtlingsmaler sind. Alle sind sie im Herbst und Winter 1956 von Budapest nach Wien gekommen, haben eine Zeitlang in Lagern gehaust, Lagersuppe gegessen und Kleiderpakete abgeholt und mit dem Bleistift auf Briefkuverts und alten Formularen herumgekritzelt. Das erste Geld ging bei allen auf Farben und Malsachen auf. Jetzt hat ihnen die ungarische Studentenvereinigung während der Sommerferien ihr Klublokal zur Verfügung gestellt, wo die fünf zum ersten Mal Arbeiten ausstellen dürfen, die in echter Freiheit entstanden sind.

Ein Bart aus Protest
Barna Sartory, ein vierschrötiger Bildhauer mit einem kohlschwarzen Apostelbart, ist mit seinen 31 Jahren der älteste in dem Emigrantenhäuflein. „Den Bart habe ich nicht aus Schmockerei“, erklärt er bedächtig. Während der Revolution war es für die Rebellen und ihre Freunde eine Art Protestmode, mit bärtigen Gesichtern herumzulaufen (außerdem: hatten sie für das Rasieren weder Zeit noch Seife) und man konnte dafür zur Polizei geholt und als „dekadenter Westler“ gewaltsam barbiert werden. Später hat sich Sartory dann vorgenommen, sich so lange nicht zu rasieren, als die Russen noch in Ungarn stünden.
Sartory ist von Beruf ausgebildeter Architekt. Er hat in Budapest Architektur studiert, weil er nicht Bildhauer werden wollte, solange man dort „solchen Dreck“ von den Künstlern verlange. Die Sujets hat er bis zum Überdruss satt: muskulöse Arbeitergruppen, Sportlerinnen, den Blick in die Zukunft gerichtet, Stalin in allen Posen. Wenn schon sozialistischer Realismus, dann baute Sartory lieber Häuser...

Matisse war unbekannt
Er ist auch der einzige unter seinen Malerfreunden, der alt genug ist, um von früher her noch eine konkrete Erinnerung an „den Westen“ zu bewahren. Die anderen – die junge blonde Agnes Kiss, die ehemalige Professorengattin Éva Nagy, der begabte Lajos Czimadia und der blutjunge Gymnasiast Antal Vizy – haben Westeuropa und seine Kunst erlebt wie Kinder das erste Weihnachtsfest. Das Erlebnis der Kunst war für sie unlösbar verbunden mit dem Erlebnis der Freiheit und es ging ihnen darin sehr ähnlich wie ihren deutschsprachigen Kollegen im Jahr 1945: mit einem Heißhunger ohne gleichen stürzten sie sich auf Chagall, Matisse, Braque und die anderen Klassiker, die sie bis dahin nur aus verstohlen weitergerichteten Zeitschriftenexemplaren gekannt hatten.
Materiell gesehen, haben die fünf jungen Künstler mit ihrer Flucht eine sichere Karriere für eine höchst präkere und ungewisse Zukunft aufgegeben. Im vorrevolutionären Ungarn konnte jeder Kunststudent, wenn er politisch gar nicht exponiert war, auf ein knappes, aber ausreichendes Stipendium und später auf einen stetig fließenden Strom von Aufträgen rechnen, mit denen staatliche Genossenschaften, Ministerien und Fabriken nicht geizten. Wer Lust hatte, in endloser Folge streng linientreue Sportfeste, Arbeiterversammlungen und Armeeparaden zu malen, brauchte bald keine künstlerische und keine materiellen Sorgen mehr zu haben.

Sie wollen nichts geschenkt
Alle arbeiten sie wie besessen: Sie wollen sich’s nicht leicht machen und sie wollen nichts geschenkt haben. Sie wünschen sich, was alle jungen Maler haben wollen: Ein eigenes Atelier und eine Reise nach Paris. Heimweh? Da werden sie alle ernst. Natürlich haben sie Heimweh, trotzdem Wien auch schön ist – „beinahe so schön wie Budapest“, sagt Barna Sartory, und man merkt: Das ist ein großes Kompliment.
Der bärtige Bildhauer erzählt auch, wann er zum ersten Mal den festen Entschluss gefasst hat, seine Heimat zu verlassen: 1949, als in Ungarn ein Gesetz herauskam, das Privatleuten die Haltung von Privatflugzeugen verbot. Er wisse mit völliger Sicherheit, sagt Sartory, dass er es niemals im Leben zu einem Privatflugzeug bringen werde und er wolle auch gar keines – aber um keinen Preis wolle er in einem Staat leben, in dem man es ihm verbietet.

Magyar Híradó, 15. Jahrgang, Nr. 8, 1. August 1971: „Begegnungen“

1. Allein, gegen den Strom

Diese Ausstellung besteht aus nicht mehr als knapp fünfzig Bildern an einer einzigen Wand. Sie sind dicht aneinandergerückt – aus Platzmangel. Durch diesen Zufall oder Zwang ist aber ein Stromkreis zustandegekommen, der das Geheimnis der Bilder aufdeckte und die Vision der Künstlerin Eva Nagy als eine Einheit präsentierte. Im kleinen Raum sind das Wiener Fernsehen, einer der bedeutendsten Rundfunkstationen, Politiker, Ästheten zugegen, aber im Moment ist die wichtigste Person der Künstler Ernst Fuchs, der als „ungekrönter König“ des Wiener Kunstlebens gilt. Er eröffnet die Ausstellung. Er analysiert diese Kunst mit großem Fachwissen und mit feinem Künstlerinstinkt und bezeichnet die Künstlerin Eva Nagy die bedeutendste Vertreterin des europäischen Expressionismus unserer Zeit. Eine Revelation. Das Entscheidende dabei sei, daß sie den wichtigsten Charakterzug des Expressionismus weiterführe, den Dynamismus.

Alles gerät in Bewegung, die fünfzig Werke an der Wand sind eine einzige Vision. Alles kommt auf die einsame Künstlerin zu, strömt ihr entgegen. Sie zeichnet und malt den Roman des Lebens, der Zeit – unbewußt, wie im Halbschlaf. Was auf sie zukommt, ist ein einziger schwarzer Fasching: Massen, die bald auseinandergerissen werden und bald miteinander verschmelzen, Freudenmädchen alter Zeiten und blaße Dichter, aus dem Alptraum der Morgendämmerung herausragende Massenmörder, scheinheilig tötende Ideologen mit vorgefallenen Schultern, die die Massen durch graue Korridore in das auswegslose Dasein treiben. Ein Fahrrad hängt an der Wand über dem Bett, unaufhörliches Treten der Pedale – Zertretenwerden durch das Leben. Nachtlichter fallen ins Zimmer ein, Menschengesichter strömen herein, Profile, Augen, der ganze Menschenwirbel Michelangelos – ohne den richtenden Christus.

Eva Nagy wurde in Siebenbürgen, in Enyed (Aiud) geboren. Ihr Schicksal war eins mit dem gefallenen Siebenbürgen. Klausenburg. Dann Budapest. Und dann Wien. Sie malte jahrelang Augen auf Schokoladepuppen. Zwei Punkte, immer wieder. In einer Schokoladenfabrik.

Aladár Kovách

Donau-Bote, 15. Jahrgang, Nr. 8, September 1971: „Ausstellung einer visionären Künstlerin in Wien“

Diese Ausstellung ist fast eine Pariser Geschichte. Die „Galerie“ ist ein kleines Geschäft, nur eine Wand dient als Ausstellungsfläche. Hier werden etwa 50 Bilder aufgehängt, kleinere und grössere-, bis zur Zimmerdecke hinauf. Bei jedem anderen Künstler würde dies die Wirkung verderben. Bei Éva Nagy liefert dies aber fast einen Schlüssel zum Geheimnis ihrer Kunst. Es zeigt die grandiose Einheit, die Homogenität ihrer immer fluktuierenden, in ständiger Strömung befindlichen Kunst. Zu einer einzigen grossen Erscheinung sind die fünfzig Bilder zusammengeschweisst: dies ist der Menschfluss des letzten Urteils von innen durchleuchtet, sie kommen, strömen dir entgegen, die flüchten vor etwas, erfüllt mit Kaffkascher Angst, innerem Zittern, violette Schatten im Lebenswald, und dieser Wald ist in seiner durchscheinenden Realität das Lebensgefühl des gefallen Siebenbürgens. Das tödliche Erbe dieser Generation. Die Ausstellung hat internationales Echo.

Prof. Ernst Fuchs stellt sie so vor:

Schon in den fünfziger Jahren, während ich die Klasse Professor Güterslohs noch gelegentlich besuchte, war mir die aussergewöhnlich sensible Künstlerin aufgefallen. Das feine Gewebe ihrer Bilder faszinierte mich. Später, als ich Gelegenheit hatte, eine Galerie unter eigener Direktion zu führen, war Éva Nagy unter jene Künstlern, die zu fördern ich mir vorgenommen hatte. Ihre Werke gehören nicht der Wiener Schule an, ja stehen dieser nicht einmal nahe, und doch ist sie schon damals, obwohl in meiner Galerie fast ausschliesslich Phantasten gezeigt wurden, mein Liebling gewesen. Mag sein, dass gerade der Umstand, dass sie meinem Wesen diametral entgegengesetzt, die labyrinthische Unterwelt der Mütter im Schosse der Erde zeigt, und weil das Thema und seine Behandlung meine Innenwelt ergänzend mich anzieht und bewegt, bin ich heute wie damals ein Bewunderer und auch Sammler ihrer Kunst. Neuerdings vermittelt sie dem Beschauer das Kaleidoskop der Introspektion erweiternd, bisweilen auch verlassend, uns einen Blick durch ihre meist halbgeschlossenen, lichtempflindlichen Augen auf ein Stück Umwelt, Landschaften, Blumen, Menschen. Diese Wendung zur Natur und Studie ist, glaube ich, ganz besonders erfreulich, weckt sie doch die Hoffnung, dass Éva Nagy den seltenen Weg der Verjüngung und des Heiter-Werdens durch die Betrachtung der Natur entdeckt hat.

Éva Nagy – einige Protokollsätze über sich selbst:
In Siebenbügen 1921 von ungarischen Eltern geboren, fing ich schon in der Mittelschule zu malen an. 1950 bis 1954 besuchte ich die Akademie der Bildenden Künste in Budapest.

Nach dem Aufstand im Jahre 1956 kam ich nach Österreich, wo ich ein Stipendium erhielt und in Wien die Akademie der Bildenden Künste besuchte.

In den Jahren 1958 und 1959 nahm ich an mehreren Ausstellungen emigrierter ungarischer Künstler in München, Hamburg und Berlin teil. Meine Arbeiten fanden Beachtung. 1965 stellte die Galerie Prof. Ernst Fuchs meine Bilder und Graphiken aus. Prof. Fuchs unterstützt meine Bestrebungen seit unserer gemeinsamen Zeit in der Akademie und erwarb einige meiner Bilder.

Mehrere meiner Ölbilder und Pastelle sind im Besitz der Österreichischen Galerie und des Ministeriums für Unterricht. Auf Einladung des „Atelier International“ M. Langlet verbrachte ich im Jahre 1970 einen Monat zu Studienzwecken in Séguret in der Provénce. Anschliessend nahm ich an der Kollektivausstellung dieser Gruppe mit gutem Erfolg teil.

Kurier, 2. Dezember 1971: „Eine Fuchs-Entdeckung für unseren Kohlenzug“

„Éva Nagy ist die grösste Entdeckung meines Lebens. Sie ist besser, als ich es je war, und ich kann nur allen meinen Freunden raten, Werke von ihr zu erwerben. Denn erstens sind ihre Bilder eine hervorragende Geldanlage, und zweitens sind sie die besten und originellsten.“ Der das sagt, müsste es eigentlich wisses, ist ist nämlich kein Geringerer als Professor Ernst Fuchs, prominenter Vertreter des Wiener Phantastischen Realismus.

Wochenpresse – „Wie – Wo“, Nr. 50, 14. Jahrgang, 19. Dezember 1971

„Die Éva ist die grösste Begabung unter den österreichischen Expressionisten“, sagt Prof. Ernst Fuchs, Grossmeister der Wiener Schule des phantastischen Realismus.

Wochenpresse, Nr. 11, 27 Jahrgang, 15. März 1972

„Sehr getroffen“ fühlte sich Wiens oberster phantastischer Realist Ernst Fuchs von dem Porträt, das die ungarische Malerin Éva Nagy geschaffen hat. Die Malerin, die 1957 aus Ungarn flüchtete und danach noch einmal bei Albert Paris Gütersloh an der Wiener Kunstakademie studierte, ist die erste, die Fuchs porträtieren durfte, weil sie der Meister für „eine authentische und überzeugende Expressionistin“ hält. Mit Porträts (für die sie derzeit nach weiteren geeigneten Modellen, die sie künstlerisch interessieren, Ausschau hält), Landschaften und introvertiert-versonnenen Bildern wird sie das Fuchs-Konterfei noch in diesem Frühjarhr in der „Galerie 10“ des vielgewandten Wiener Kunsthändlers Manfred Scheer ausstellen. Und weil sie „die echte künstlerische Atmosphäre“ um Fuchs, der Éva Nagy schon zu Zeiten förderte, als er selbst noch eine Galerie in der Millöckergasse managte und die darbende Malerin noch Stanniolpapier für Schokoladeosterhasen bemalte, so faszinierte, will sie sich noch einmal porträtistisch auf den bärtigen Maler stürzen. Freilich, meint Fuchs, „muss man ihr die Bilder sofort wegnehmen, sont übermalt sie sie gleich wieder – aus Ersparnisgründen“.

Dr. Maria Visek, Ausstellung: Galerie in der Blutgasse 1976

Sie leistet den Beweis, dass Gestalungsprozesse mit Prozessen seelischer Selbstfindung konvergieren: das aufregende Drama einer differenzierten Gestaltung erweist sich zugleich als Drama der menschlichen Seele auf ihrem Wege zur Selbstfindung. Der psychologische Reiz ihrer Werke liegt in der wiederkehrenden Darstellung verschiedener Konfliktsituationen und führt die Bedeutung der Aggressivität vor Augen, welche das menschliche Zusammenleben in jeder Form der Gemeinschaft wesentlich bestimmt.

Dabei wird deutlich, dass sie keine „heile Welt“ in ihren Werken vermittelt, sondern manchmal mit dem „bösen Blick“ – wie eben Karl Kraus gemahnt – das „allzu Menschliche“ aklimatisiert. Freilich fehlt diesen Bildern auch der geringste Anhauch von Zynismus ebenso wie Sentimentalität. Hier wird Verlangen, Angst und Leid festgehalten – die „Empfindung“ wird dem Betrachter überlassen.

1921 in Siebenbürgen von ungarischen Eltern geboren, fing sie schon in der Mittelschule zu malen an. 1950 bis 1954 besuchte sie die Akademie der bildenden Künste in Budapest, wo sie auch ihr Diplom erhielt. 1956 kam sie nach Österreich und studierte hier an der Akademie der bildenden Künste und erhielt 1959 den österreichischen Füger-Preis. Auf Einladung des „Atelier International“ M.L. verbrachte sie 1970 einen Monat in Séguret in der Provence.

Magyar Híradó, 1976: Eine neue Eva Nagy in der Blutgasse

Unter den in Österreich heimisch gewordenen Künstlern gebührt der aus Siebenbürgen gebürtigen Eva Nagy, die die Kunstakademie in Budapest und Wien absolviert hatte, eine besondere Rolle. Die als Expressionistin bezeichnete Malerin von außerordentlicher Begabung nimmt nach ihren früheren Bildern nun ein neue Wende: Sie komprimiert ganze Welten in verhältnismäßig kleinem Raum zusammen, indem sie alle Möglichkeiten der Leinwand bzw. des Papiers ausnutzt. Diese introvertierten Bilder wirken auf den Betrachter, um es in der Sprache der Literatur auszudrücken, wie Gedichte: Sie erschließen sich nicht sofort, man muß sie immer wieder und möglichst lange beobachten, bis sie all ihre Schönheit und all ihren gedanklichen oder gefühslmäßigen Inhalt freigeben. Bei den neuen Bildern von Eva Nagy muß man sich in den Feinheiten der Details, der Zeichnung und dem Verlauf der Linien vertiefen. Im Ausstellungsraum von Dr. Maria Visek in der Blutgasse sind nur zwei kleinere Räumlichkeiten mit diesen Bildern gefüllt, aber auch das Wenige verrät viel: Der Betrachter wird von diesen Kompositionen bezaubert, er kommt nicht so leicht von ihrer Wirkung frei. Es ist eine Ausstellung, die mehr als einmal besucht werden muß, wie man auch Gedichtbände immer wieder zur Hand nimmt. Zum Glück ist sie noch bis zum 7. Januar geöffnet. (K.)

Magyar Híradó, 1977: Zwei Malerinnen

Man könnte es auch als symbolisch verstehen, daß man in der Galerie in der Dorotheergasse in das zweite Kellergeschoß hinabsteigen muß, um die Ausstellung von zwei ungarischen Künstlerinnen zu besichtigen. Die Bilder von Eva Nagy führen in große Tiefen, in existentielle Klüfte hinab, wo Farben und Formen durch Leiden gebrochen bzw. verzerrt werden. Das sind Ikonen der Qual, Bilder des jedem Menschen zuteil werdenden Martyriums, moderne Golgathabilder. „Ich nehme die Malerei vielleicht zu ernst“, meint die Künstlerin, „weil ich angesichts der sinkenden Linie der Menschheit von tragischen Gefühlen gepackt werde.“ Authentische Formulierung, authentische Bilder, die sozusagen keine Kunstschöpfungen im üblichen Sinne des Wortes, sondern Ausläufer des Nervensystems der Künstlerin, Bestandteile ihres Lebens sind. Sicherlich hat anläßlich der ersten größeren Ausstellung von Eva Nagy im Jahr 1965 auch Ernst Fuchs, die führende Gestalt der phantastischen Realisten, diesen Eindruck gehabt, als er die Bilder der Künstlerin die besten ungarischen expressionistischen Werke nannte.

SZ Feuilleton, Nummer 17, 21. Januar 1978: „Bildersprache als Ausdrucksmittel – Die Malerin Éva Nagy stellt in der Galerie am Marktplatz aus“

Soziale Dramen, eine Apokalypse nennt Éva Nagy zwei Arbeiten, die neben einer Reihe anderer Bilder der Malerin zur Zeit in der Böblinger Galerie am Marktplatz ausgestellt sind. „Soziale Dramen“, Titel von zwei Bildern, die jedoch der Ausstellung insgesamt den Namen geben könnten.

Die Wiener Malerin will mit ihren Bilders nirgends den Eindruck einer „heilen Welt“ vermittlen; ihren Bildern fehlt jedoch auch die Kritik ebenso wie Sentimentalität. Sie ist Beobachter der menschlichen Angst, des Leidens, des Verlangens. Gesehenes gibt sie wieder in ihrer Art, leidenschaftslos, distanziert, ohne jemals den Versuch zu unternehmen, dem Betrachter „Empfindungen“ aufzudrängen. Er bleibt ihm selbst überlassen, seinen Standpunkt zu finden zu dem, was da vor ihm abgebildet ist.

Éva Nagy, 1921 in Siebenbürgen geboren, lebt heute in Wien. An der Akademie der bildenden Künste in Budapest begann sie ihr Studium, das sie später, 1957, in Wien fortsetzte.

Ihr ganz persönliches Schicksal, das Emigranten-Schicksal – Leben in Lagern, die Massen von Menschen, Einsamkeit, Verständigungsschwierigkeiten auf sprachlicher, auf emotioneller Basis – wird in fast allen ihren Bildern widergespiegelt. „Sie hat die Bildersprache als Ausdrucksmittel gewählt“, so Karl Herrmann, der bei der Ausstellungseröffnung den Versuch unternahm, sich näher mit der Künstlerin bekannt zu machen. Obwohl Éva Nagy in Wien studiert hat, zeigen alle ihre Arbeiten, dass sie sich nie beeinflussen liess vom phantastischen Realismus, vom Neo-Surrealismus oder irgendwelchen anderen modischen Richtungen. Sie gehört, will man sie unbedingt in ein Schema pressen, am ehesten den Expressionisten der zweiten Generation an. Ihre Bilder, die in ihren dichtgedrängten Aussagen jeden Rahmen zu sprengen scheinen, erhalten oft unvermutete Spannung durch eine Gruppe, die entgegen den pastosen Tönen stark farbig ist, durch Überdimensionales, das einer Gruppe von kleinen Dingen bedrohlich gegenübergestellt wird.
Man muss sich Zeit nehmen zum Betrachten der Bilder, denn sie erzählen, in vielen ineinanderfliessenden Zeichen und Formen, Geschichten menschlicher Schicksale.

Sybille Schurr

Kultur, 8. Juli 1986

In der Neudeggergasse 6 bietet Éva Nagy einen Überblick über ihr 50jähriges künstlerisches Schaffen. Sie absolvierte die Akademie der bildenden Künste in Budapest und setzte 1957 ihr Studium an der Wiener Akademie bei Professor A. P. Gütersloh fort. Der Bogen der Exponate reicht von realistischen, die Natur malerisch interpretierenden Porträts und Blumenbilder der dreissiger Jahre über eine beklemmende expressionistische Figuration zu abstrakt konstruktiven Umsetzungen während der siebziger Jahre. Dann erfolgte die Rückkehr zu einer malerisch gesehenen Landschaft, in die Licht und Stimmung einbezogen werden.

Karlsruhe Kultur Deutschland, Badische Kulturnachrichten, Nr. 290, 15. Dezember 1988: „Die Farben der Verzweiflung“

„Wo das Bangen um das Schicksal der Menschen aufhört, zeichnet sich ein glückliches Weltbild, die Kunst des l’art pour l’art, ab“, schrieb Éva Nagy Ende der 70er Jahre und stellte fest, dass ihre Bilder hingegen eher pessimistisch wirken. „Damit will ich erreichen, dass der Mensch mit der Gefahr einer drohenden Weltkatastrophe, die sich auftut, konfontiert wird, damit er sie durch Verinnerlichung seines Lebens bannen kann“, bekannt die 1921 in Siebenbürgen geborene und 1957 nach Wien geflüchtete Künstlerin.

Zwei akademische Ausbildungen hat sie abgeschlossen, eine in Ungarn, wo sie nicht malen durfte, was und wie sie wollte, und eine in Wien bei Albert Paris Gütersloh. Ihr Studienkollege Ernst Fuchs erkannte die grosse Begabung der Kollegin, nahm sich bald der talentierten jungen Frau an, die mit ihrem kleinen Sohn nach Österreich gekommen war.

Es mag erstaunen, dass ihre dicht und fein gewobenen, in sich versponnenen, dennoch anziehenden und sprechenden Bildern nicht auf grössere Resonanz stiessen. Hier arbeitete eine sensible, nonkonformistische Frau nicht an der Vermarktung ihrer Person, sondern an einem schlüssigen Lebenswerk, das sich aus der Erfahrung der Einsamkeit, vielleicht der „transzendentalen Heimatlosigkeit“, aus einem labyrinthischen Lebensgefühl entwickelte. „Wenn jemand der realistischen Schule entstammt, muss er erst einen langen Weg hinter sich bringen, bis er zum eigenen Stil gelangt“, sagt die Künstlerin.

Die Selbstdiagnose aus den 70er Jahren trifft und verfehlt das Gesamtwerk, dessen moderner, der Abstraktion zugewandter Teil durch einen sehenswerten Querschnitt in der Karlsruher Galerie Emilia Suciu von Dezember `88 bis Februar `89 repräsentiert wurde. Sie trifft, weil es in den Pastellen, Tuschzeichnungen und Gouachen um alles andere als den schönen Schein geht. Sie verfehlt das Wesen der Bilder, weil sie durchaus nicht pessimisitisch wirken. Die fulminante Farbenergie, mit der Éva Nagy ihre Sujets auflädt, auch wenn es sich um Sterbe- oder Kreuzigungsmotive handelt, ist den Themen nicht unangemessen, aber irritierend.

Das Schmerzlichste selbst mit einem Lachen zu erzählen, das die Macht der Empfindung dämpft, bevor sie unterträglich wird – das ist der Gestus der Tiefverletzten, der Angstgequälten. Éva Nagys differenzierte und schrankenlose phantasievolle Farbbehandlung ist das Lächeln, das sich vor die Verzweiflung schiebt, die in den zeichnerischen Partien formuliert wird.

Mütter schützen ihre Kinder vor dem Herannahen der Düsternis mit ihren Leibern, alles ist in Auflösung, in fluchtartiger Bewegung begriffen, die Kontur der Körper nie geschlossen oder verfestigt, sondern stets verletzlich geöffnet, äusseren Kräften ausgeliefert, und in der profanierten Melancholie der Mutter-Kind-Beziehung kündigt sich der Schmerz der Pieta an. Leibermeere wogen bewegt über die Blätter, Flüchtende oder Gerichtete bleiben in der anonymen Masse vereinzelt. Von dieser konkreten, nervösen Bewegung wird in späteren Arbeiten abstrahiert. Die Ölbilder aus den 60er Jahren wiederum belegen, dass Éva Nagys vitale Gestaltungskraft nicht aufs kleinste Format beschränt ist.

Kirsten Voigt/BNN

Tibor Hanák, 1981: „Éva Nagys Bilder“

Die Illustrationen der vorliegenden Nummer des „Bécsi Napló“ (Wiener Tagebuch) sind Werke Éva Nagys, die in Klausenburg, Budapest und Wien ihre Ausbildung genoss. Ihre erste Wiener Ausstellung wurde von Ernst Fuchs veranstaltet, als dessen Entdeckung sie gilt. Nach Fuchs ist Éva Nagy der bedeutendste ungarische Expressionist, den er kennt.

Ihre Bilder scheinen stets den selben Gedanken ausdrücken zu wollen; sie können sich nicht loslösen von der Erkenntnis, dass alles Unglück ist und alles schmerzt. Eine Tuschzeichnung trägt den Titel: Im Strudel. Doch sozusagen alle ihre Bilder bringen dies zum Ausdruck: den Strudel der menschlichen Schicksale, die übereinander gedrängten, einander erdrückenden Existenzen, wobei Éva Nagy einen wahrhaft künstlerischen Beweis für ihre grosse Anteilnahme, für ihre besorgte und ohnmächtige Liebe erbringt. Sie arbeitet mit vielen Figuren, mit der Koprojektion vieler Szenen: vor allem mit Gesichtern, mit entgeisterten, tief liegenden Augen zeigenden erschrockenen Köpfen, wie jene auf Edward Munchs Bild „Der Schrei“ oder auf Werken Ensors; allein ihre Art ist feiner und assoziativ. Mitunter gewinnt der Beobachter den Eindruck, nicht einen Querschnitt der Menschenmasse, des Massenlebens, sondern vielmehr jenen der menschlichen Psyche oder der Erlebniswelt der Künstlerin selbst vermittelt zu bekommen; dieses Bild ist voller Erinnerungsbruchstücke, verstörter Stimmungen, Halbheiten, voll von wenig Licht geworfenen grossen Schatten, die einer einzelnen Gruppe, der Totentanz-Gemeinschaft anzugehören bereit sind, weil sie das keine Hintertüren kennende Gesetz der das Leben druchdringenden Ängste befolgen.

Ein Teil der Gemälde Éva Nagys widmet sich religiösen Themen; Kalvarienberge, Kruzifixe, Schwefelregen, leidende Seelen und Leiber, geschundene Ikone begegnen sich in einer grossen Apokalypse. „Traum vom Bösen und von der Erlösung“ steht unter einem Gemälde. Erschütternde Bilder, aber erschütternd auch die kompromisslose Ernsthaftigkeit der Künstlerin. Ihre Werke sind nicht nur das Abbild, sondern die Fortsetzung ihres eigenen Leidens. Ihre Bilder schmerzen auf dem Papier.

Wiener Kunsthefte 7/8/1986: „Éva Nagy – Maler kaufen ihre Bilder“

Die Künstlerin hat einen einfachen ungarischen Namen – sie heisst Éva Nagy. Sie stammt aus Siebenbürgen, aus Enyed. „Ihr Los ist das ihrer Heimat, des armen Siebenbürgen“, schrieb über sie ein Kunstkritiker, der diesen Stern der ungarischen Malerei hochschätzte. Für gewöhnlich wird ja das Talent in der Emigration nicht geachtet. Und doch ist Éva Nagy eine Malerin, die als Vertreterin des europäischen Expressionismus gilt und deren Bilder selbst von Malern mit grossen Namen gekauft werden. So ist auch Ernst Fuchs, der berühmte Maler Österreichs, bei fast jeder Éva-Nagy-Ausstellung unter den Käufern zu finden. Nach seiner Meinung ist die aus Siebenbürgen stammende Künstlerin eines der grössten Malertalente Europas.

Wie lebt nun Éva Nagy und was malt sie? Das wollten wir erkunden, als wir sie in ihrem Atelier, Laudongasse 30, besuchten. Das Haus ist eines der altmodischen hässlichen „Bassena“-Häuser, mit denen Ende des letzten Jahrhunderts die Hauptstadt Österreichs übersät wurde. In den hohen Gebäuden gibt es möglichst viele Mieter, Wohnungen ohne Komfort und schon gar keine Aufzüge. Die Wasserleitung ist am Gang. Man muss das Wasser manchmal ziemlich weit in die Wohnung schleppen. Die Wohnungen haben kein Badezimmer. Das WC ist oft am Ende des Ganges und muss von mehreren Mietern geteilt werden. Heute hat man schon viele dieser Häuser saniert. Meistens haben die Mieter selbst die unpraktischen Wohnungen umgebaut. Wasserleitungen wurden in die Wohnungen verlegt, ein Teil der Küche wurde zum Badezimmer umfunktioniert, und wenn kein Platz für eine Badewanne war, so wurde zumindest eine Dusche in einer Ecke aufgestellt.

Die Wohnungen wurden damals fast alle nach einem Schema gebaut: Ohne Vorzimmer betritt man gleich die Küche. Von da öffnet sich der Eingang in ein oder zwei Zimmer. Bei Éva Nagy ist das erste grosse Zimmer das Atelier. Wenn man eintritt, weiss man schon, dass man zu einem ernstzunehmenden Künstler gekommen ist: nicht so sehr der Farbgeruch, als vielmehr die Stimmung des Raumes fällt auf. Alles erzählt von ihrer Heimat – Siebenbürgen: die Decken, die Zierteller, die Krüge, die Spitzendeckchen längst vergangener, glücklicherer Zeiten. Und natürlich zeugen die Bilder von der bedeutenden Kunst der Meisterin. Oben auf den Schränken verdeckt ein Bild das andere.

Auch wenn das Atelier noch weiträumiger wäre, wenn es durch das anschliessende „Kabinett“ vergrössert werden würde, es wäre trotzdem zu klein für als das, was Éva Nagy in den vergangenen 20 Jahren ihres Wiener Aufenthaltes geschaffen hat. Es kommen Porträts und Landschaften zum Vorschein, Kunstwerke auch von anderen Künstlern. Doch dann breitet die Künstlerin in grossen Mappen ihre Schätze aus: Tausende Zeichnungen, farbig und schwarz-weiss, hergestellt mit verschiedenen Techniken, die auch ohne Rahmen sehr beeindrucken. Das alles ist ein grosser Teil des Lebenswerkes einer grossen Künstlerin. Aber nur wenig fehlt davon. Für einen echten Künstler ist es viel leichter zu malen as zu verkaufen. (Ausnahme sind die Kitschmaler, die viel mehr verdienen. Davon gibt es nicht wenige unter den ungarischen „Künstlern“ in Wien.)

Éva Nagy hat zwei Akademien absolviert: eine noch in Ungarn – die Akademie der bildenden Künste in Budapest und nach 1956 die Kunstakademie in Wien (denn nur als Studentin kam sie zu einem Stipendium). Aber was nützt ihr das alles? Um ihr Leben zu fristen, malte sie auf Schokoladefiguren Augen, auf das Gesicht jeder Puppe zwei Punkte. Daheim dann malte sie, wozu sie Lust hatte. Dabei hatte sie noch für einen Buben zu sorgen, Nahrung, Kleidung und Schulbildung für ihn zu sichern.

So vergingen die 20 Jahre – zwei Jahrzehnte. Ihr Sohn erwarb unterdessen ein Diplom an der Hochschule für Welthandel in Wien und hat heute eine vorzügliche Stellung in Genf. Die Sorgen sind für Éva Nagy geringer geworden, aber sie haben nicht völlig aufgehört. Die Unruhe von einst, die auch in ihren damaligen Bildern zum Ausdruck kam, hat auf den neuen Bildern kaum eine Spur hinterlassen. Diese Bilder sind Werke eines ausgeglichenen Künstlers, der immer noch nur in Farben, in Bewegung und Dynamik die Welt zu sehen vermag. Sie verblieb bei dem, was sie einst charakterisierte, hat ihre Kunst aber verfeinert, hin in die Nähe der Klassizität.

Wenn man diese Bilder sieht, den bunten Tanz der Farben und Formen, kann man sich nicht erklären, warum die Menschen diese Meisterwerke auf den Regalen des Ateliers verstauben lassen, während sie doch mit einem oder anderen Éva-Nagy-Bild ihre Wohnung, ihr Leben verschönern könnten.

Gyula Klamár


Wiener Kunsthefte 7/8/1986: Ernst Fuchs „Über Éva Nagy“

Labyrinth: Jedes Blatt ein Labyrinth aus Menschenleibern. Fein gewoben der Strick zur Beschreibung der Sage vom Verlorensein.
Durch alle Blätter ziehen sich Gänge und Verliese, in denen Leiber, in sich zusammengesunken, verborgen sind; gleich dem in sich verschlungenen Knäuel jener Schnur, mit deren Hilfe die Erforschung des Labyrinths glücklich ausgeführt werden sollte. Unentwirrbar, und doch von einer geheinnisvollen Ordnung erfüllt.

Betrachtet man die Werke Éva Nagys länger, und das ist nötig, erhellen sich allmählich die düsteren Katakomben und die Leiber derer, die oben noch Verzweiflung ineinanderflocht, ruhen selig geborgen in den Eingeweiden einer gigantischen Mutter.

(Wien 1965)

Schon in den fünfziger Jahren, während ich die Klasse Professor Güterslohs noch gelegentlich besuchte, war mir die aussergewöhnlich sensible Künstlerin aufgefallen. Das feine Gewebe ihrer Bilder faszinierte mich. Später, als ich Gelegenheit hatte, eine Galerie unter eigener Direktion zu führen, war Éva Nagy unter jenen Künstlern, die zu fördern ich mir vorgenommen hatte. Ihre Werke gehören nicht der Wiener Schule an, ja stehen dieser nicht einmal nahe, und doch ist sie schon damals, obwohl in meiner Galerie fast ausschliesslich Phantasten gezeigt wurden, mein Liebling gewesen. Mag sein, dass gerade der Umstand, dass sie meinem Wesen diametral entgegengesetzt, die labyrinthische Unterwelt der Mütter im Schosse der Erde zeigt, und weil das Thema und seine Behandlung meine Innenwelt ergänzend mich anzieht und bewegt, bin ich heute wie damals ein Bewunderer und auch Sammler ihrer Kunst. Neuerdings vermittel sie dem Beschauer das Kaleidoskop der Introspektion erweiternd, bisweilen auch verlassend, uns einen Blick durch ihre meist halbgeschlossenen, lichtempfindlichen Augen auf ein Stück Umwelt, Landschaften, Blumen, Menschen. Diese Wendung zur Natur und Studie ist, glaube ich, ganz besonders erfreulich, weckt sie doch die Hoffnung, dass Éva Nagy den seltenen Weg der Verjüngung und des Heiter-Werdens durch die Betrachtung der Natur entdeckt hat.

(Wien 1971)

Wiener Kunsthefte 7/8/1986: Maria Visek „Éva Nagys Kunst“

Sie leistet den Beweis, dass Gestaltungsprozesse mit Prozessen seelischer Selbstfindung konvergieren: das aufregende Drama einer differenzierten Gestaltung erweist sich zugleich als Drama der menschlichen Seele auf ihrem Wege zur Selbstfindung. Der psychologische Reiz ihrer Werke liegt in der wiederkehrenden Darstellung verschiedener Konfliktsituationen und führt die Bedeutung der Aggressivität vor Augen, welche das menschliche Zusammenleben in jeder Form der Gemeinschaft wesentlich bestimmt.

Dabei wird deutlich, dass sie keine „heile Welt“ in ihren Werken vermittelt, sondern manchmal mit dem „bösen Blick“ – wie eben Karl Kraus gemahnt – das „allzu Menschliche“ aklimatisiert. Freilich fehlt diesen Bildern auch der geringste Anhauch von Zynismus ebenso wie Sentimentalität. Hier wird Verlangen, Angst und Leid festgehalten – die „Empfindung“ wird vom Betrachter überlassen.

(Wien 1976)

Wiener Kunsthefte 7/8/1986: Éva Nagy „Über mich und die Abstraktion der Welt“

Die geistige Entwicklung von Gesellschaft und Mensch wird von verschiedenen Erlebnisfaktoren mitgeprägt. Mir hat meine siebenbürgische Heimat ihren Stempel aufgedrückt, aus dem dortigen Milieu bin ich herausgewachsen.
„Die Tätigkeit des Künstlers darf sich nicht in einer blossen Effekthascherei erschöpfen“, lautete ursprünglich mein Leitspruch. Mit zunehmenden Alter habe ich meine Einstellung zur Kunst revidiert: der Künstler soll mit seinen Werken doch auf das Publikum einwirken.

Wenn jemand der realistischen Schule entstammt, muss er er einen langen Weg hinter sich bringen, bis er zum eigenen Stil gelangt. Jedesmal ist mein Vorhaben, die gestellten Aufgaben gewissenhaft zu prüfen, deshalb gehe ich meistens von naturalistisch angefertigten Skizzen aus. Die Aufgabe stellt sich aus der Erwägung, worin besteht die Abstraktion der Welt, in der wir leben. Erst nach dem Bewältigen dieses Problems schicke ich mich an, abstrakte Bilder zu malen. Wo das Bangen um das Schicksal der Menschheit aufhört, zeichnet sich ein glückliches Weltbild, die Kunst des l’art pour l’art, ab.

Trotz dieses Bemühens wirken meine Bilder eher pessimistisch. Damit will ich erreichen, dass der Mensch mit der Gefahr einer drohenden Weltkatastrophe, die sich auftut, konfrontiert wird, damit er sie durch Verinnerlichung seines Lebens bannen kann.

Pfälzer Tagblatt, Oktober (?) 1990: „Karlsruhe: Werke von Eva Nagy in der Galerie Suciu“

Von beseelter Abstraktion

Es sind Bilder, von denen man nicht so schnell loskommt, die einen mit seltener, warm erdiger Farblichkeit ansprechen und mit ihrer dicht-gestaffelten Komposition immer stärker vom Räumlichen zum Flächigen, vom Figürlichen zum Offen-Abstrakten hin tendieren. Öle, Aquarelle, Pastelle, Mischtechniken, Kreide- und Tuschezeichnungen von Eva Nagy, die in der Karlsruher Galerie „Emilia Suciu“ vorgestellt werden, als Retrospektive hauptsächlich die 60er und 70er Jahre umfassen, allerdings ebenso einen wichtigen Einblick in das gegenwärtige Schaffen einer Künstlerin garantieren, die trotz einer schweren Vergangenheit ihr Credo eines humanistischen Menschenbildes nicht verloren hat.

1921 in Enyed (Siebenbürgen/Rumänien) geboren, studierte Eva Nagy zuerst an der Akademie der Bildenden Künste in Budapest bei Por Bertalan, bis sie 1956 während des Ungarnaufstandes mit ihrem Sohn nach Wien fliehen musste. Dort setzte sie 1958 ihre Studien bei Professor Albert Paris Gütersloh an der Wiener Akademie fort und wurde von ihrem Studienkollegen Ernst Fuchs, der das Talent seiner Kommilitonin erkannte, selbstlos gefördert. 1959 wurde sie mit dem österreichischen Füger-Preis ausgezeichnet; sie lebt und arbeitet seit ihrer Flucht als freischaffende Künstlerin in Wien. Ausstellungen in Österreich, Deutschland, Frankreich und der Schweiz.

Wie in anonym gesteuerten Wirbeln und Strudeln werden die Menschen in den Arbeiten der frühen 60er Jahre über- und durcheinander geschleudert – weit entfernt von einem Weltbild des l’art pour l'art. Denn, „ich will erreichen“, so hat es die Künstlerin einmal formuliert, dass „der Mensch mit der Gefahr einer drohenden Weltkatastrophe, die sich auftut, konfrontiert wird, damit er sie durch Verinnerlichung seines Lebens bannen kann.“ Etliche Exponate dokumentieren mit apokryph-labyrinthischer Verschlungenheit das gewissermaßen selbstverschuldete Verstricktsein des Menschen in heillose Situationen. Und doch stellt Eva Nagy nicht einseitig einen gängigen Pessimismus zur Schau. Denn dort, wo die Farben in beklemmender Weise Trauer tragen, ein fahles Grau den karg-reduzierten Figuren die letzte Möglichkeit zum Atmen zu nehmen scheint („Im Strudel II“), da durchzieht bereits andere Exponate („Nach besserem Streben“) ein indirekter Sog – weg aus stumpfer Vermassung und Existenzlosigkeit.

Noch gibt es den figürlich-personalen Aspekt, doch ist er bereits eingebettet in eine vertikale, sich staffelnde Bewegung, quasi als geistiger Aufschwung zu verstehen („Metamorphose“), indem das Körperhafte sich in einem prozeßhaften Streben aufzulösen scheint. Formen und Flächen verlieren ihre direkt-inhaltliche, bedeutungskostituierende Aufgabe, werden zu einem individuellen, sanft-konturierten Kubismus transformiert, der jetzt die Grenze des Gegenständlichen hinter sich gelassen hat. Eine malerische Annäherung an die Erfahrung von Transzendenz, als freier, unabhängiger, zugleich nichtsagbarer Ort. Beseelte Abstraktionen einer Dimension, die nicht bewusst, nur geahnt, beziehungsweise geglaubt werden kann.

In den gegenwärtigen Arbeiten entdeckt man Formen expressiver Gestaltung („Tanz") wie eine stärkere, tektonisch-geometrisch orientierte Flächenaufteilung mit härteren kantigen Konturen und schärferen, kontrastiven Segmentierungen, in denen die frühere flächenbetonte Komposition einer räumlichen Tiefe weicht. – Bisweilen scheint es, als wären hier unbewusst konkrete Inhalte von Bildern der späten 70er Jahre („Menschenmeer“) faszinierend in den Stil der Gegenwart „übersetzt“ worden.

Eine selten beeindruckende Ausstellung, die bis zum 31. Oktober zu folgenden Öffnungszeiten der Galerie Suciu, Karlsruhe Oststadt, Melanchthonstraße 3, besichtigt werden kann: Montag bis Freitag von 13 bis 17 Uhr; Mittwoch von 13 bis 20 Uhr, wie nach telefonischer Vereinbarung. (07 21/69 56 58).

Matthias Brück

Badische Neueste Nachrichten, 45. Jahrgang, Nr. 293, 19. Dezember 1990: „Zur Ausstellung in der Galerie Emilia Suciu“

Wie von einer unsichtbaren Kraft zusammengehalten
Arbeiten der aus Siebenbürgen gebürtigen Künstlerin Eva Nagy / Ihr Schaffen aus den 60er Jahren

Die Bilder haben etwas Vertrautes und doch Erschreckendes, mal sieht man Menschenleiber in scheinbar chaotischer Unordnung, dann wieder abstrakte, besänftigende Formen, wie von einer unsichtbaren Kraft zusammengehalten. Transparenz und Undurchdringlichkeit, Spannung und unbändige Kraft liegen oft ganz eng beieinander in den Werken der aus Siebenbürgen gebürtigen Künstlerin Eva Nagy. Ihrem Schaffen der 60er Jahre ist derzeit eine der eindrucksvollsten Karlsruher Ausstellungen in der Galerie Emilia Suciu gewidmet.

Da sieht man Momentaufnahmen, verinnerlichte und abstrakt wiedergegebene Erlebnisse wie ein Straßentheater in Grün, Rot, Blau und Beige gehalten. Weiße Kontrastlinien verbinden einzelne Szenen und sorgen für eine kaum beschreibbare Spannung, die sich bei näherer Betrachtung als entkrampfendes Element erweist. Auch das Werk „Metamorphosis“ lebt von ungemeinen inneren Spannungen, sowohl thematisch als auch in deren künstlerischer Umsetzung. Die Pflanze, Lebenssymbol und nicht von ungefähr als sonnenähnliches Gebilde am linken oberen Bildrand untergebracht, ist die Kraft, die Leben schafft und von der alle Lebewesen abhängen. Kompositorisch überaus gelungen und ambivalent dargestellt, widmet sich die Reihe unterschiedlichster Menschendarstellungen diagonal über das Hochformat und sorgt für eine Balance, die man sich zum Thema gelungener kaum vorstellen könnte.

Eva Nagy wurde 1921 in Siebenbürgen geboren, beendete 33 Jahre später ihr erstes Studium an der Akademie der Feinen Künste in Budapest und flüchtete 1956 nach Wien, wo sie bei Albert Paris Gütersloh eine weitere, erheblich liberalere Ausbildung erhielt, als jene, bei der Ideologie in Form des „Sozialistischen Realismus“ im Mittelpunkt stand. Persönliche Schwierigkeiten, Rückschläge, Krankheit und eine ungewisse wirtschaftliche Zukunft sind es, die beim Betrachten der ausgestellten Bilder aus den 60er Jahren greifbar werden. Gleichviel: Nie ist es die schiere Verzweiflung, nie ist es die Reflexion eines momentanen Bewusstseinszustandes, von der die Werke ihre ungeheure Dynamik und Ladung beziehen.

Scheinbar unentwirrbare Knäuel von Menschen und Formen wandeln sich, abhängig von der individuellen Disponiertheit des Betrachters in verblüffende Zusammenhänge, die – so unterschiedlich sie auch sein mögen – immer durch die expressive Farbgebung verstärkt werden. Ob in Aquarell-, Tempera-, Mischtechnik oder Öl, die Arbeiten Eva Nagys sind von durchgängig höchster Qualität, wenn auch konzidiert werden muss, dass die Künstlerin nicht zu einer wie auch immer gearteten Avantgarde zählt. Diesen Anspruch hat sie denn auch nie erhoben. Trotzdem: Dem Niveau ihrer Arbeiten tut das keinen Abbruch, ganz im Gegenteil.

Einflüsse von Picasso, Munch, Marc oder Macke sind erkennbar, die individuelle Rezeption und Weiterverarbeitung ist in sämtlichen Bildwerken der Wiener Künstlerin überaus originär und von höchstem inhaltlichen und ästhetischen Reiz. Hoffnung, ja Gewissheit darüber, dass durchaus pessimistische Ausblicke am Ende nützlich sind, verschlungene Labyrinthe, in denen Menschen, die durch die Darstellung des Fetisch als Werkzeug kenntlich gemacht sind, zum Schluss doch ein Ziel haben, spricht aus den Bildwerken der großen Künstlerin. Eine der reizvollsten Ausstellungen in Karlsruhe.

Zu sehen ist sie bis 31. Oktober, montags bis freitags, 13 bis 17 Uhr, am Mittwoch zusätzlich bis 20 Uhr, in der Galerie Emilia Suciu, Melanchthonstraße 3, bei der Lutherkirche.

Wolfgang Voigt

Karlsruher Nachrichten, Oktober 1991: „Im Labyrinth“

In ihren Bildern lässt Eva Nagy alles gleichberechtigt: die Farben, die Formen, die Menschen, die Tiere, das Innen, das Außen, das Oben, das Unten. Unwillkürlich denkt man an paradiesische Zustände. Aber nicht erst feministische Erkundungen haben den Verdacht erhärtet, dass der christliche Mythos vom Paradies eine tiefere, vorchristliche Schicht verdeckt hat. Vor den Heilslehren, Utopien und Erlösungsreligionen existierte eine ältere, labyrinthische Welt. Wer sich im Labyrinth befindet, weiß nicht, ob er sich innen oder außen befindet, ob er sich rückwärts oder vorwärts bewegt, ob er abhängig oder selbständig ist. Die für unsere westliche Gesellschaft so wesentlichen Unterscheidungen (oben/unten, innen/außen, wissen/nicht wissen) sind zweitrangig. Östliche Philosophie (z. B. das Tao-te-King) hat zentrale Einsichten des labyrinthischen Denkens aufbewahrt. In unserer westlichen Welt, in der das Selbstbewusstheitsideal, der Kult der Distanzierung und der Zwang zur Kontrolle dominieren, erfordert der Versuch, einen ziellosen, unentwirrbaren, chaotischen Modus des Seins auszudrücken bzw. zu leben, ein Höchstmaß an Widerstandskraft.

Eva Nagy, die 1956 aus ihrer Heimat Ungarn nach Wien flüchtete, besitzt diese Kraft. In ihren Bildern spürt man den Wunsch und auch die Fähigkeit, distanzierte Barrieren zu überwinden. Ohne Rüstung und Panzer, ohne Sicherheit des „Ich denke, also bin ich“, ohne selbsterrichtete Projektions- und Identifizierungsapparate halluziniert Eva Nagy in ihren Bildern eine instabile, offene, dezentrierte Gegenwelt, in der alles miteinander verwoben scheint. Geborgenheit und geschwisterliche Zuneigung lassen sich erahnen. Ernst Fuchs (Wiener Schule des Phantastischen Realismus), der Eva Nagy 1965 in seiner Galerie ausstellte, hat dieses futuristische Moment ihrer Kunst in seinem Katalogvorwort festgehalten.

„Labyrinth, jedes Blatt ein Labyrinth aus Menschenleibern. Fein gewoben der Strich zur Schreibung der Sage vom Verlorensein. Durch alle Blätter ziehen sich Gänge und Verliese, in denen Leiber in sich zusammengesunken verborgen sind; gleich dem in sich verschlungenen Knäuel jener Schnur, mit deren Hilfe die Erforschung des Labyrinths glücklich ausgeführt werden sollte. Unentwirrbar, und doch von einer geheimnisvollen Ordnung erfüllt. Betrachtet man die Werke Eva Nagys länger – und das ist nötig – erhellen allmählich sich die düsteren Katakomben und die Leiber derer, die oben noch Verzweiflung ineinanderflocht, ruhen selig geborgen in den Eingeweiden einer gigantischen Mutter.“

Eva Nagy, Malerei, Zeichnungen;
Galerie Emilia Suciu, Melanchthonstraße 3
28.9. bis 31.10.1991

Oser Bote, Nr. 43/95: Galerie Kleiner Prinz – Künstler Portrait

Éva Nagy, Wien

Geboren in Siebenbürgen/Rumänien. Diplom an der Akademie für Bildende Künste in Budapest. 1957 Flucht nach Österreich. 1959 Verleihung des österreichischen Füger-Preises.

„Ihr Los ist das ihrer Heimat, des armen Siebenbürgers“, so schrieb ein Kunstkritiker. Éva Nagy ist eine Vertreterin des europäischen Expressionismus und es kommen aber auch Portraits und Landschaften zum Vorschein. Ihre Bilder strahlen eine warmerdige Farbigkeit aus und in den dicht gestaffelten Kompositionen ist immer stärker eine Tendenz vom Räumlichen zum Flächigen, vom Figürlichen zum offen Abstrakten erkennbar. Beseelte Abstraktionen.“

Pfälzer Tagblatt v. 5.10.91


„Hier arbeitet eine sensible non-konformistischen Frau nicht in der Vermarktung ihrer Person, sondern an einem schlüssigen Lebenswerk. Mit fulminanter Farbenergie lädt Éva Nagy ihre Sujets auf. Das schmerzlichste selbst mit einem Lächeln zu erzählen, das die Macht der Empfindung dämpft, bevor sie unerträglich wird. Das ist der Gestus des Tiefverletzten, des Angstgequälten. Von einer Melancholie der Mutter-Kind-Beziehung künden der Schmerz der Pieta und flüchtende Wogen bewegt über die Blätter.“

Kirsten Voigt


Die geistige Entwicklung von Gesellschaft und Mensch wird von verschiedenen Erlebnisfaktoren mitgeprägt. Éva Nagy hat die siebenbürgische Heimat ihren Stempel aufgedrückt. Seit 39 Jahren lebt sie in Wien.

Ihr Leitspruch: „Die Tätigkeit des Künstlers darf nicht in einer blossen Effekthascherei erschöpfen. Die künstlerische Aufgabe stellt sich aus der Erwägung, worin besteht die Abstraktion der Welt, in der wir leben. Erst nach Bewältigung dieses Problems schickt sie sich an, Bilder zu malen. Wo das Bangen der Menschen aufhört, zeichnet sich ein glückliches Weltbild ab.“